Das Unternehmen Ambulanzpartner hat sich einer der zentralen Herausforderungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen gestellt: Mit einer Mischung aus sozialer und digitaler Dienstleistung wurde der häufig vorhandene Zielkonflikt aufgelöst, die Versorgungsqualität für den Einzelnen zu steigern, ohne dabei Kosten für den Patienten selbst zu verursachen oder die für die Allgemeinheit zu erhöhen.
Was macht Ambulanzpartner genau?
Wer zum Arzt geht und ein Rezept für Medikamente erhält, geht im Anschluss in die Apotheke und löst es ein. Ein so einfaches Bild, lässt sich für Patienten mit chronischen neurologischen Erkrankungen nicht zeichnen. Benötigt man bestimmte Hilfsmittel (z.B. Rollstühle), wird ein viel komplexerer Prozess in Gang gesetzt: man muss den richtigen, qualifizierten Sanitätsfachhandel aufsuchen, einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse stellen und auch im Falle einer Ablehnung dieses Antrags passend reagieren. Die Steuerung dieses Prozesses liegt beim Patienten. Und das oft in Situationen, in denen er mit diesen bürokratischen Hürden eher überfordert ist.
Zwei Neurologen der Charité Berlin gründeten deshalb die Versorgungsplattform Ambulanzpartner. Sie hat den Anspruch, die Versorgungs- und Kommunikationsprozesse zwischen den beteiligten Experten sozial & digital zu unterstützen und fortlaufend zu verbessern. Prof. Dr. Thomas Meyer und Prof. Dr. Christoph Münch haben damit anfangs vor allem auf den Bedarf von Patienten reagiert, die an Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) erkrankt sind – eine Krankheit auf die sie beide spezialisiert sind. Patienten mit dieser Erkrankung können nicht geheilt werden, aber behandelt und eben bestmöglich versorgt, um die Lebensqualität möglichst lange hoch zu halten. Als unabhängiger Partner auf Seiten des Patienten nimmt Ambulanzpartner damit eine seltene Rolle im deutschen Gesundheitswesen ein: die der Koordination der ambulanten Versorgung – stellvertretend für den Patienten.
Die Koordinatoren von Ambulanzpartner begleiten den Krankheitsverlauf von Patienten durch eine effiziente und qualitativ gute Versorgung mit Hilfsmitteln, Heilmitteln, Arzneimitteln und Ernährungshilfen. Denn die Behandlung von ALS-Patienten beruht neben der Versorgung mit Hilfsmitteln auch auf einem komplexen Zusammenspiel von Ärzten, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Pneumologen, Logopäden und anderen Spezialisten. Diese Koordination wird dokumentarisch und kommunikativ gestützt durch die eigene digitale Plattform.
Wie funktioniert das Geschäftsmodell?
Das Geschäftsmodell sieht unter anderem eine anteilige Vergütung an jeder erfolgreich abgeschlossenen Versorgungstransaktion vor, die von den Versorgern bezahlt wird. Das reflektiert auch die starke Fokussierung auf Patienten, die aufwändigere Versorgungsprozesse benötigen. Der Anreiz für Versorger an dem Versorgungsnetzwerk teilzunehmen, liegt in einer Kosteneinsparung hinsichtlich der Beratungsleistung für Patienten mit schweren Krankheiten. Punktuelle Einzelversorgungen mit Medikamenten oder Rollatoren würden diesen Mehrwert so nicht bieten können.
Durch den Schwerpunkt auf dieses transaktionsbasierte Modell wird das Risiko für eine Teilnahme am Netzwerk gesenkt. Gleichzeitig entstehen keine Mehrkosten für das Gesundheitssystem, obwohl es einen zusätzlichen Akteur gibt, der einen Mehrwert beisteuert.
Wie verlief die Entwicklung?
Ambulanzpartner wurde bereits im Jahr 2009 gegründet. Seit dem lässt sich eine Entwicklung vor allem in drei verschiedenen Bereichen beobachten:
Inhaltliche Erweiterung des Geschäftsmodells: das Angebot für Produkte und Dienstleistungen im Netzwerk wurde deutlich erweitert. Anfangs ermöglichte Ambulanzpartner die Versorgung von Hilfsmitteln wie z.B. Rollstühle und Orthesen. Nach und nach konnten Patienten auch Unterstützung in der Versorgung von Heilmitteln wie Ergotherapie, Krankengymnastik und Logopädie, Ernährungshilfen und Medikamente über Koordinatoren erhalten.
Geografische Erweiterung des Geschäftsmodells: Auch geografisch verbreiterte sich das Angebot. Waren zu Beginn nur Versorger und Patienten in Berlin und Brandenburg vernetzt, ist das Netzwerk jetzt in allen Regionen Deutschlands vertreten.
Erweiterungen der Zielgruppe: Anfangs lag der Fokus auf Patienten mit ALS, später kamen Patienten mit anderen neurologischen Krankheitsbildern wie zum Beispiel Schlaganfall-, Multiple Sklerose- oder Parkinson-Patienten dazu. Für alle gilt, dass die Versorgung relativ komplex ist, so dass das Angebot von Ambulanzpartner für sie eine große Unterstützung darstellt.
Welche weiteren digitalen Schritte sind geplant?
Unterstützende Automatisierung
Für die Auswahl der richtigen Versorgungspartner sind verschiedene Koordinatoren zuständig. Diese benötigen tieferes Wissen über das Netzwerk, um dem Patienten eine bestmögliche Versorgung sicherzustellen: so haben einige Sanitätshäuser evtl. Expertenwissen im Bereich Elektro-Rollstühle. Andere wiederum haben für ein spezielles Hilfsmittel keinen Vertrag mit der entsprechenden Krankenkasse oder versorgen nur in einem bestimmten PLZ-Bereich.
Um diese Versorgungsentscheidung bestmöglich vorzubereiten, ist geplant die Auswahlkriterien so auf der Plattform abzubilden, dass schon eine bestimmte Vorauswahl infrage kommender Versorger automatisiert geschehen kann. Das würde den Koordinatoren die Arbeit erleichtern und auch eine Reproduzierbarkeit der Qualität sicherstellen.
Partnerschnittstellen
Hat ein Versorgungspartner einen Auftrag erhalten und angenommen, ist neben der Übermittlung von patientenspezifischen Informationen auch die von prozessrelevanten Daten notwendig – zum Beispiel für die Abrechnung mit den Krankenkassen.
Hierbei wäre es für die Versorger effizienter, die bereits bei Ambulanzpartner vorliegenden Daten direkt über Schnittstellen in ihre Systeme übernehmen zu können und Aktualisierungen dort auch automatisch zu reflektieren.
Andersherum können Entscheidungen über die Auswahl des besten Versorgungspartners für einen einzelnen Vorgang auf Basis von Echtzeitinformationen (Qualifikation, Verfügbarkeit, Lieferzeit etc.) aus den Systemen der Versorger getroffen werden. Auch hier wäre eine schnellere und qualitativ bessere Versorgung das Resultat.
Wie lässt sich der Beitrag von Ambulanzpartner einordnen?
Besonders im deutschen Gesundheitssystem liegen die Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen der Steigerung der Versorgungsqualität einerseits und den entstehenden Kosten für die Allgemeinheit andererseits. Die Versorgungsqualität wird von Ambulanzpartner vor allem erhöht durch eine individualisierte und personalisierte Dienstleistung am Patienten, aber auch durch eine gesteigerte Behandlungsqualität durch Ärzte. Die Kostenneutralität resultiert vor allem aus den Effizienzsteigerungen für andere Beteiligte:
Individualisierung und Personalisierung für Patienten
Die Begleitung eines Patienten entlang seines Krankheitsverlaufs, eben durch Koordination und Abstimmung verschiedenster Bedarfe mit einer Vielzahl an Versorgern, ist ein sehr alleinstehender Nutzen im deutschen Gesundheitswesen. Patienten erhalten dadurch eine individuellere und auch personalisierte Dienstleistung. Zusätzlich können Patienten auf die Versorgung durch die Teilnahme an Bewertungen ihrer Versorgung direkt Einfluss nehmen.
Steigerung der Behandlungsqualität durch Ärzte
Über die Plattform haben Ärzte direkten Einblick, welche Hilfs- und Heilmittel seit dem letzten Termin angewandt wurden. So können umfassend informierte Einschätzungen mit minimalem zeitlichen Aufwand getroffen werden. Insgesamt bleibt mehr Zeit, um sich auf das ärztliche Gespräch, die Diagnostik und die Therapie zu konzentrieren anstatt sich um die Qualität der Versorgung und der koordinativen Aufgaben zu sorgen.
Effizienzsteigerungen für Versorger
Sanitätshäuser können durch das eingeschliffene Zusammenspiel mit Ambulanzpartner darauf zählen, dass die übermittelten Information zu einer Versorgungsanfrage qualitativ hochwertig und vollständig sind. Daher wird ihnen ein Großteil der Evaluationsarbeit mit den Patienten abgenommen und sie können dadurch besser abgestimmte Hilfsmittel bereitstellen.